Letzte Generation am Staatstheater

Letzte Generation am Staatstheater

Ulf Erdmann Zieglers „Digitales Feuer“
Noah L. Perktold, Nina Völsch, Anne Lebinsky | © Foto: Karl und Monika Forster

Nun also ein Theaterstück, und das gleich über alle Konventionen hinweg. – Ulf Erdmann Ziegler hat mit seinem Stück „Digitales Feuer“ die Vorlage für ein Ensemble geliefert, mit den eigenen und eigens dafür erfundenen, theatralen Möglichkeiten, die Zumutungen der Gegenwart zu verhandeln, ohne dem Publikum Resultate zu verkünden. Martin Lüdke hat neugierig im Publikum gesessen.

Ulf Erdmann Zieglers „Digitales Feuer“ feiert in Wiesbaden Premiere

Ensemble | © Foto: Foto: Karl und Monika Forster

Eine grandiose Inszenierung. Ein schwieriges Stück, unterhaltsam und doch nicht unterkomplex auf die Bühne gebracht. Ein aufwendiges, doch einleuchtendes Bühnenbild. Gegenwart und geistige Erblasten. Vico, Nietzsche, Kant, Bloch, Leibniz und sogar Hume, sie alle dürfen ihre Texte, als Fragmente, loswerden, aber Mr. Bellamy nimmt ihnen die Last ihrer Einsichten ab – und blickt, nur weil er, das vergreiste Kleinkind, nicht blinzeln konnte, mit großen Augen verschmitzt in die Kamera. Drei Akte. Anderthalb Stunden. Keine erkennbare Handlung. Dafür viel Bewegung. Die Zeit vergeht schnell. Am Ende jubelt ein begeistertes Publikum. Dann aber geht noch, auf dem Weg zur Bühne, der Autor verloren. Den verdienten Beifall bekommt er aber, hinterher, bei der anschließenden Premierenfeier, rauschend nachgeliefert.

Toni Pitschmann, Philipp Alexej Voigtländer, Klara Wördemann | © Foto: Foto: Karl und Monika Forster

Doch fangen wir von vorne an. Noch sind die Türen geschlossen. Das Publikum harrt im Foyer aus. Plötzlich bewegt sich etwas. Ein ziemlich großer, kräftiger uniformierter Polizist führt eine junge protestierende Frau, vermutlich eine Studentin, die ein Plakat hochhält, „Eure Kunst braucht keiner mehr“, mit geübten Griffen aus dem Foyer.

Alle gucken hin. Keiner macht etwas. Niemand sagt auch nur ein Wort. Kurstädtisches Publikum.

Erst am Ende, als der gleiche Polizist unter den Darstellern auf der Bühne auftaucht, erkennt man dieses Vorspiel vor dem Prolog, der wenig später wiederum, mit den Worten endet: „Ein wirkliches Theater. So fängt das an.“ Alles, übrigens, und der Chor wiederholt diese Worte. Und dann geht es wirklich los. Und zwar richtig. Wie gesagt: viel Bewegung. Reichlich Personal. Viele Worte. Doch man redet nicht miteinander. Auch nicht übereinander. Oft nur durcheinander.

Aber man redet. So Fritz Glück: „Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. / Doch was ihr wissen müsst: Sie bleibt.“ Oder, aus der Armee der Ungeduldigen, also A, B und C: „Die Zeit des Zauderns ist vorbei.“

Da kann man nicht von Dialogen sprechen, allenfalls von Einsichten, die da zum Ausdruck kommen. Eine Bewusstseinslage. Aber: geschichtet. Und, nicht nur, weil es sich reimt, auch gewichtet. Ziegler, der Autor, hat sich viel Gedanken gemacht und viele auch auf die Bühne gebracht. Christoph Kohlbacher, eigentlich Schauspieler, also ein Wiesbadener Ensemblemitglied, der hier erst das zweite Mal Regie führt, mutig, konsequent und gut durchdacht, hat Zieglers Vorlage theatralisch umgesetzt. Er hat sich an Zieglers Text gehalten. Aber damit gemacht, was er für richtig, ja für notwendig hielt.

Es gibt wirklich keinerlei Handlung im engeren Sinne. Da kommt kein wirkliches Spiel in Gang. Es kommt zu keinen Dialogen. Doch alles kommt in Fluss. Gleich eingangs lassen der Hambacher Forst und Lützerath grüßen. Aktivisten treten auf. Die Letzte Generation steht gleichsam immer an der Tür. Aber das ist nicht alles. Auch die Älteren kommen zu Wort, notfalls aus dem Rollstuhl. Sogar alter DDR-Adel ist präsent, in Gestalt von Simone de Maizière, einer engagierten Ärztin.

Tobias Lutze | © Foto: Foto: Karl und Monika Forster

Man könnte hier mit Robert Gernhardt meinen: „Mein Gott, ist das beziehungsreich. Ich glaub, ich übergeb’ mich gleich.“ Doch, da scheint mir eher Jandl am Platz: „Werch ein Illtum!“

Was allerdings sicher auch an Kohlbachers Regie liegt. Er setzt die gedankliche Be-, ja auch Überlastung konsequent in Bewegung um, und das, ohne die Gedanken dabei auch nur anzukratzen.

Ziegler ist ihm dabei aber auch ein Stück entgegen gekommen. Den Verzicht auf Dialoge sieht er theatralisch begründet. „Es geht um eine Art globales Bewusstsein. In welcher Zeit sind wir? Wie weit sind wir gekommen? Ist ein Fortschritt zu verzeichnen? Worauf können wir uns verlassen?“

Solche Fragen im Dialog behandelt, meint Ziegler nicht zu Unrecht, würde zur Aufzeichnung eines Seminargesprächs führen. Er aber wollte Theater. Deshalb griff er, vor allem durch den Chor, auf alte Formen zurück. Die Beschreibung gegenwärtiger Bewusstseinslagen, die Ziegler hier, wie immer fragmentarisch, vorgelegt hat, war sicher nicht einfach umzusetzen. Er hat Glück gehabt, mit Kohlbacher, seinem Regisseur, der mit einer wundersamen Mischung aus Klugheit und unbekümmerten Übermut, den schwierigen Stoff so schwungvoll auf die Bühne gebracht hat, dass sich sogar Platz fand für eine lange, absolut stumme Tanzeinlage, die in fortwährender Bewegung alles für mehr als nur einen Moment zur Ruhe kommen ließ.

Statisterie | © Foto: Foto: Karl und Monika Forster

Bei Ziegler ist nie auszuschließen, dass hier versucht wird, an Kants elegante Bestimmung einer „ästhetischen Idee“ anzuschließen, die als Vorstellung der Einbildungskraft zwar viel zu denken „Anlaß gibt“, aber in keinem bestimmten Gedanken aufgeht. Nur: Eine solche Vorlage lässt sich leicht in den Sand setzen.

Kohlbachers großartige Leistung lässt sich zusammenfassen: Komplexer, schwieriger Stoff, unterhaltsam aufbereitet. Dazu gehört natürlich auch ein Ensemble, das sich solchen Schwierigkeiten stellt und sie, wie geschehen, spielend bewältigt. Da haben wirklich viele mitgespielt. Dazu ein Team, Bühnenbild und Kostüme, die da ebenfalls und einfallsreich zum Erfolg beigetragen haben. Rundum also: ein gelungener Abend, an dem wirklich vieles passte, obwohl der Autor den Eingang zur Bühne nicht fand und seine Lorbeeren erst später in Empfang nehmen konnte.

Letzte Änderung: 16.03.2023  |  Erstellt am: 14.03.2023

Digitales Feuer
Von Ulf Erdmann Ziegler
Ein Auftragswerk des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden

Nächste Vorstellungen: 22. Und 26. März

KLEINES HAUS 19:30 – 21:05

Inszenierung Christoph Kohlbacher
Bühne Lars Werneke
Kostüme Jannik Kurz
Licht Oliver Porst

Birte Meta Klein Nina Völsch
Fritz Glück obias Lutze
Jasper Paul Simon
Kathleen Klara Wördemann
Anton Noah L. Perktold
Simone de Maizière Anne Lebinsky
Kino Lena Hilsdorf
Isis Lina Habicht
Annalena Fletscher Evelyn M. Faber
A, B und C Luise Ehl, Toni Pitschmann, Philipp Alexej Voigtländer
Armee der Ungeduldigen Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden

Staatstheater Wiesbaden

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