Das Bild der Vorzeit

Das Bild der Vorzeit

„Urknall der Kunst“ in Darmstadt
Leo Frobenius | © Wikimedia Commons

„Kein Gebiet der Erde ist so reich und überreich und außerdem in auch nur annähernd so weiter Ausdehnung mit Felsbildern gesegnet wie Südafrika.“, schrieb der Ethnologe Leo Frobenius. Nach dem Bekanntwerden dieser ältesten Kunst am Anfang des 20. Jahrhunderts beeinflusste sie die Künstler der Moderne, und sie beeinflusst sie, wie eine Ausstellung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt zeigte, bis heute. Walter H. Krämer hat sich den Katalog angesehen.

„Urknall der Kunst -. Moderne trifft Vorzeit“ war der Titel einer Ausstellung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, die bis einschließlich 9. Juli 2023 zu sehen war. Zu dieser Ausstellung ist ein hervorragend gestalteter Katalog erschienen, der tiefe und fundierte Einblicke in die Materie gewährt und die Inhalte derselben ausführlich darstellt. Der Katalog lässt uns an den Forschungsarbeiten von Leo Frobenius und seinem Team teilhaben und entführt uns in eine archaische Bildwelt. Auf 160 Seiten finden sich fünf Essays zu den Themen: Leo Frobenius: die Vorzeit als Bild von Richard Kuba; Faszination für das Zeitlose: Im Zeitgeist großer Entdeckungen von Jessica Schmidt; Auf den Spuren von Paul Klees Reise in die Vorzeit von Fabienne Eggelhöfer; Willi Baumeister und Leo Frobenius: Zu ihren vermeintlichen und tatsächlichen Verbindungen, erläutert am Beispiel der Valltorta-Schlucht (Castellón, Spanien) von Harald Floss und Juan Francisco Ruiz López und last but not least: Joseph Beuys im Dialog mit Urbildern von Gabriele Mackert.

Leo Frobenius in Öl gemalt, Routen der Forschungsreisen in Afrika; Künstler*innen beim Zeichnen, Zeitungsbericht über die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun in der Times vom 12, Dezember 1922, eine Gegenüberstellung von Paul Klee „Im Bann des Gestirns“ und der Kopie einer Felsmalerei aus der Mutoko-Höhle in Südafrika und etliche Fotos von Werken des „wiedergeborenen Höhlenzeichners“ Joseph Beuys – um nur einiges zu nennen, was die fünf Essays illustriert, der Anschaulichkeit dient und zum besseren Verständnis beiträgt. Dann folgen (ab Seite 62) auf 93 Seiten qualitativ hochwertige Aufnahmen der ausgestellten Exponate. Ein wahrer Genuss, sich in diese Bilder zu vertiefen und der Frage nachzugehen: Wo liegt der Ursprung der Kunst? Dieser Frage stellte sich auch der deutsche Ethnologe Leo Frobenius zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Über zwei Dutzend Expeditionen führten ihn und seine Forschungsteams zu den Höhlenmalereien Europas, Afrikas und Asiens. Die zu seinem Team gehörenden Künstlerinnen und Künstler fertigten über 8.000 gemalte Nachschöpfungen dieser sensationellen Bilderwelten an und entführen uns in eine Welt bis zu 20.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Für die Künstler der Moderne war die Entdeckung der Höhlenmalereien ein Schlüsselerlebnis. Viele waren auf der Suche nach einem Neuanfang der Kunst und fanden in diesen archaischen Zeichnungen eine neue/alte Formensprache und sie ließen sich von diesen Uranfängen der Kunst inspirieren. Dies kann man durch die Gegenüberstellung von Höhlenzeichnungen und den Werken von beispielsweise Willi Baumeister, Hans Arp und Joan Miró sehr gut nachvollziehen. Alfred H. Barr, Gründungsdirektor des Museum of Modern Art in New York, erkannte diese Verbindung zwischen Moderne und Vorzeit und stellte die Sammlung Frobenius im April 1937 erstmals zusammen mit Werken der zeitgenössischen Kunst aus.

Initiator und Ermöglicher der intensiven Auseinandersetzung moderner Künstler*innen mit der vorzeitlichen Kunst war der deutsche Ethnologe und Direktor des “Instituts für Kulturmorphologie” in Frankfurt am Main, Leo Frobenius. Dutzende Expeditionen führten Leo Frobenius und seine Forschungsteams zu den Höhlenmalereien Europas, Afrikas und Asiens. Der wohl bekannteste Mitreisende war der ungarische Forscher Lászlo Almásy. Seine Entdeckung der „Höhle der Schwimmer“ erfuhr 1996 durch die Verfilmung „Der Englische Patient“ nachträglich ungeahnte Berühmtheit. Die „Höhle der Schwimmer“ wird im Film „Der englische Patient“ zum magischen Ort einer großen, tragischen Liebe zwischen dem oben erwähnten ungarischen Forscher Ladislaus (Lászlo) Almásy und der Britin Katharine Clifton, die ihn für die Royal Geographical Society Almásys Expedition zum Gilf-el-Kebir-Plateau begleitet. Lange bevor der Begriff der Weltkunstgeschichte in den Diskurs eingeführt wurde, bewies Frobenius, dass Kunstproduktion, magische Rituale und Erinnerungskultur rund um den Globus zu beachtlichen und gleichen Ergebnissen führen.

Der Katalog „Urknall der Kunst. Moderne trifft Vorzeit“ stellt die Felszeichnungen in den Dialog mit Werken von Joan Miró, Paul Klee, Pablo Picasso, Hans Arp, Willi Baumeister und André Masson und schlägt den Bogen zur Kunst von Joseph Beuys, der sich selbst als „wiedergeborener Höhlenzeichner“ bezeichnete. „Was nützt einem die schöpferische Phantasie und großer schwungvoller Stil, das viele Können und die technische Vollendung. Naiv und ungeschult müsste man sein, um an den Objekten erst zu lernen, mit ganz anderen als den üblichen Ausdrucksmitteln zu arbeiten.“ (Malerin Elisabeth Krebs im Tagebuch ihrer Sahara-Reise)

Letzte Änderung: 31.07.2023  |  Erstellt am: 28.07.2023

Urknall der Kunst | © Wikimedia Commons

Martin Faass, Jessica Schmidt (Hrsg.) Urknall der Kunst

Moderne trifft Vorzeit
Hessisches Landesmuseum Darmstadt (Hrsg.)
200 S., geb.
ISBN: 978-3-86502-494-7
E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2023

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