Weise und gottesfürchtig

Weise und gottesfürchtig

Moisei Borodas Erzählungen
Moisei Boroda | © Privat

Moisei Boroda ist Musikwissenschaftler, Schriftsteller und Komponist zugleich. Der Musiker bereicherte das Repertoire jüdischer Lieder und veröffentlichte Kammermusik. Der Schriftsteller schrieb und schreibt Zeitungsbeiträge, Gedichte und Erzählungen. Geboren und aufgewachsen in Georgien, kam er als Zweiundvierzigjähriger nach Deutschland. Seine Erzählungen „Die Parabel des Lebens“ las Matthias Buth.

Wir in Deutschland wissen zu wenig, welche Menschen wir verloren haben durch die NS-Ideologie, durch den Rassenwahn, welche Nachbarn (das Kürzel „Die Juden“ distanziert) in den Krematorien der KZs in Rauch aufgingen, wir machen uns zu wenig bewusst, welcher Geist und welche Sprache in Kunst und Literatur uns abhandengekommen sind. Die Hunderttausende auf den Straßen „gegen rechts“ fragen kaum nach unseren verlorenen Mitbürgern, nach den ungeschriebenen Büchern und Symphonien. Es ist gut, dass viele erwachen und in Stadt und Land demonstrieren, aber der ausgebliebene Widerstand und das Wegschauen unserer Vorfahren lässt sich so nicht ausgleichen. Und Selbstvergewisserung, endlich zu den Guten zu gehören, ist ein therapeutisches Massenphänomen, gut gemeint, aber auch ein wenig selbstreferentiell.
Die ehemals kakanische und nun ukrainisch-rumänische Bukowina ist ein Land, wo „Menschen und Bücher wohnten“. Georgien, eine alte europäische Kulturlandschaft, scheint fern. Wenn Menschen von dort – trotz der russischen Bedrängung nun zum „sicheren Herkunftsland“ erklärt – von dort kommen, ist das ein Gewinn. Denn diese Menschen lieben Deutschland. Nicht viele, aber einige gibt es, die schreiben können in der Neu-Sprache Deutsch, die komponieren in spätromantischer Klangsprache und die mitten unter uns leben; weise Menschen, denen man gern zuhört, die etwas zu sagen haben mit sprachlicher Brillanz und Geist. Sie adeln das Deutsche.

So einer ist Moisei Boroda. Eine Entdeckung als Erzähler und Spurensucher. Er lebt in Herne, kommt aber aus Georgien, in Tbilissi, das wir stets mit Tiflis ansprechen, wurde er 1947 geboren. Schon seit 1989 lebt er bei uns. Von ihm geht eine Aura aus, die man mit dem Fiddler on the Roof aus dem Film Anatevka verbinden könnte, aber er ist ganz anders: ein präziser Beobachter und mit einem Sprachvermögen ausgestattet, das modernes Deutsch schreibt, den Erscheinungen der eigenen Beobachtungen auf der Spur. Dass er Kammermusik schreibt, in Georgien viele Bücher publiziert hat und in Hörfunksendungen präsent war, bestimmt sein Schreiben und Erkennen. Sein elegantes Deutsch nimmt mit.

Mit 13 rundgeschliffenen Erzählungen betritt er die deutsche Literaturlandschaft. Moisei Boroda nimmt natürlich Themen auf, die ihm als weiser und gottesfürchtiger Jude auf der Seele brennen (so in „Die Neue Haut“), die nach Israel führen und ins Doktrinäre des Dschihad-Islam, eine Geschichte, die gerade jetzt erschauern lässt. Die meisten seiner Geschichten zeichnen aber Geschichte, die einen Reflex in der Gegenwart haben, die Stalin und die Inszenierung von Musik aufgreifen sowie die Verfügung des Diktators über Menschen, eine Story, bei der man sogleich den Namen Putin mitliest.

Dass Literatur Bilder schafft und dass Menschen einer illusionären Vorstellung von einer anderen Person ein Leben lang nachhorchen, ja nachlieben, dass also das Nicht-Gesagte, aber Ersehnte, dass eben das Erträumte eine eigene Wirklichkeit hat, macht die brillante Seelenstudie „Iseekyou“ deutlich. Und so wird zugleich erkennbar, dass Worte trösten, dass Spracherfindungen dem Autor eine Seelenstruktur geben, die sein Inneres bewahren und vor Verzweiflung und Aufgabe schützen können.

Letzte Änderung: 26.03.2024  |  Erstellt am: 26.03.2024

Die Parabel des Lebens | © Privat

Moisei Boroda Die Parabel des Lebens

Erzählungen
206 S., brosch.
ISBN-13: 9783826079887
Könighausen & Neumann, Würzburg 2024

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