Auf dem Rückweg vom Tod

Auf dem Rückweg vom Tod

In Deutschlands Sprache – In Memoriam SAID
SAID | © wikipedia commons

Geboren 1947 als Said Mirhadi in Teheran kommt SAID 1965 nach München, um Politikwissenschaften zu studieren, kehrt 1979 in die Islamische Republik zurück, um wiederum vor den Mullahs ins Exil nach Deutschland zu fliehen. 2004 wird er deutscher Staatsbürger. Matthias Buth erinnert an den bedeutenden deutschen Dichter aus Persien.

Er war immer auf der Flucht, nie sicher, seiner nicht, nicht der anderen und schon gar nicht der Menschen, die das Land regierten, aus dem er kam: Iran. In Teheran wurde er 1947 geboren. Aber schon seine Geburt begründete die These vom Exil als Existenzform.
Seine Mutter war 15, der Vater ließ sich nach wenigen Wochen von ihr scheiden und der Säugling wurde von seiner Mutter getrennt.

Sie blieb bis auf eine ganz kurze Begegnung mit dem Jugendlichen unauffindbar. Erst 41 Jahre später meldete sich ein Halbbruder bei SAID und vermittelte eine Begegnung mit der Mutter. Da die Mutter kein Visum für Deutschland erhält, treffen sich Mutter und Sohn auf einer Zeitinsel von drei Wochen in Toronto, in Kanada. Sie sprechen, besprechen und beschweigen sich, fremd und doch nah Exiliert sie beide. Dann gehen sie auseinander für immer. 2001 schreibt der Dichter der fernen Mutter auf, was ihn bestimmte: Trauer, Wut, Verzweiflung, Sehnsucht nach einer gestohlenen Kindheit und Jugend Er hatte nur Eines: die Sprache, seine Sprache.
Und er lebte in doppelter Sprachbürgerschaft in Persisch und Deutsch, so wie ein anderer
großer Dichter, wie Jiri Grusa (1938 – 2011) in Tschechisch und Deutsch – beide Chamisso-xistenzen, die in der Nicht-Muttersprache, im Deutschen, Zuflucht und Heimat fanden.

Mit 17 Jahren verließ er als Student den Iran, der ehemals Persien hieß, flüchtete vor dem Schah-Regime, wollte in Deutschland 1965 Ingenieur werden, blieb in dem Land, dessen Sprache er rasch lernte und das ihn aufnahm mit dem Besten, was es hat: mit der Sprache. Sie wurde seine innere Heimat, und München die Hauptstadt seiner Existenz.
Dort konnte sich entfalten, was er an Fähigkeiten Weltzugewandtheit, Geist und Fantasie sowie Leidensfähigkeit mitbrachte. So wurde er zum deutschen Dichter.

auf dem dem rückweg vom tod /
überschreiben wir unsere entlegene sprache.

So dichtete er 2002 im Lyrikband Aussen-
haut Binnenträume. 19 Jahre später starb er
in der Isar-Stadt, der Dichter, der dem Tod
immer nah war, besonders in dieser Gedicht-
sammlung. Ein existentieller bitterer Grund-
ton durchzieht das Werk dieses Autors, der
immer Dichter blieb, immer als Poet schrieb,
gleich ob er Lyrik, Prosa, Kinderbücher oder
Hörspiele verfasste. Den Tod überschreiben,
ihn überwinden durch die von der Liebe be-,
ja gestimmte Sprache: das war das Movens all
seiner Sätze.

der plebejische schatten des tages / deine brüste
/ die währung für die nacht / und dann / der
tod / zu jeglicher schönheit entschlossen

Das sind Verse, die das Deutsche beglück-
en können, eine Ausweitung der Sprachwelt,
die den Tod umspielt mit Grazie und liebender
Hinwendung, fern aller Brecht’schen Tod-
Kumpeligkeit und auch nicht dem ziselierten
Ton Rilkes nah, der belehrt und zuweist.

und der wind, / dieser unerbittliche botschafter
/ deiner haare, / bringt mit sich / den
geruch des todes, / wovon die bettlaken nur
schweigen

In jeder Sinnlichkeit wohnt Abschied, dies wird hier als Erkenntnis benannt, gehalten von den Koordinaten der Worte Wind, Haare, Geruch. Keine theoretische Floskel, sondern genau gesehen und so in die Sprache geholt.
Und so sind viele Verse gefasst von einer sinnlichen, den Erscheinungen der Welt nachspürenden Sprache. Viele Dichter der lyrischen Jahrbücher der Gegenwart könnten an SAID Maß nehmen. Sicherlich ist der späte Eintritt in die deutsche Dichtung kein Nachteil, wenn das innere Sprachband aus einer anderen mitläuft, wenn zudem Erfahrungen ferner
Menschen und Landschaften eingewoben werden. So ist es bei SAID.

Er hatte Angst, zu recht, politische Drangsal kannte er im Iran zu Zeiten des Pahlavi-Regimes, dem die zweite Diktatur der Mullahs folgte, das koranische Gottesreich, die Unterwerfung aller unter die permanente Bedrohung, insbesondere für Frauen, die Mindermenschen nach islamischer Ideologie. Der Friedensnobelpreis von 2023 an die inhaftierte Iranerin Narges Mohammadi hätte SAID gefreut und diese Frau mit Gedichten beleuchtet.

Die islamische Dschihadisten-Kultur kannte er zwar nur aus zweiter Hand, war er doch in Deutschland durch den Rechtsstaat geschützt, aber der lange Arm Khomeinis (1902-1989) und von dessen Schergen warf auch auf ihn dunkle Schatten, erst recht, als er Kontakt hielt zu den Bedrängten in seiner Geburtsheimat und mit Erfolg einige nach Deutschland, nach Europa, lotsen konnte, als Autor und auch über den deutschen PEN, in dessen Vorstand er mitwirkte und den er sogar zwei Jahre anführte (2000-2002), bis ihm das PEN-Funktionärswesen auf die Nerven ging.

SAID, schon dieses Kürzel war Versteck, denn es war sein Vorname, er hieß standesamtlich Said Mirhadi. Den Ruf- und Dichternamen schrieb er stets in Versalien, ebenso wie er fast alles in Kleinbuchstaben veröffentlichte.
Insofern, und nicht nur in dieser Hinsicht Reiner Kunze (geb. 1933) verwandt. Auch er ein den diktatorischen Verhältnissen (der DDR) 1977 Entronnener. Und so ist es kein Zufall, dass SAID einen berühmten Kurztext Kunzes seiner Rede am 12. November 1988 bei einem Symposium der Evangelischen Akademie Tutzing zum Thema Sprache und Diktatur voranstellte:

Einladung zu einer Tasse Jasmintee

Treten Sie ein, legen Sie Ihre
Traurigkeit ab, hier
dürfen Sie schweigen

Das Schweigen-dürfen, alle Worte, die
nach draußen drängen, welche die
Ungerechtigkeiten der Welt erfassen, die Mord
und Gefängnis aussprechen und darum
gefährlich sind, für sich zu behalten und – ja –
sich selbst der Traurigkeit entledigen zu dürfen,
schutzlos und doch geborgen zu sein: das
können Freunde ermöglichen, Geliebte und
auch Pfarrer und Pastoren, die das Wort der
Bibel wirken lassen.

Die SAID-Rede ist eher ein Gedicht, ein Werben um die Kraft der Dichter und vor allem: nicht den Diktatoren das behütende Schweigen zu überlassen. Das Schweigen gehöre den Dichtern, seit es Diktatoren gebe.
Schweigen sei aber auch die Waffe der Diktatoren gegen das Wort, weshalb Dichter beides beherrschen müssten: die Waffe der Sprache und die Waffe des Feindes, das Schweigen.
Dem Buch von 2003 In Deutschland leben, das ein Gespräch mit dem WELT-Autor Wieland Freund wiedergibt, ist ein programmatischer Satz von Albert Camus vorangestellt, der das Lebensmotto des Neu-Münchners war:

unsere welt braucht keine lauen seelen, sie
braucht brennende herzen, die der mäßigung
den angemessenen platz einzuräumen
verstehen.

Das konnte SAID. Lau war er nie, vor allem nicht gegenüber der iranischen Diktatur, der er ein anderes Camus-Wort hätte entgegenstellen können: „Es gibt kein Schicksal, das nicht durch Verachtung überwunden werden kann“. Aber er war ein eher weicher Aufrechter, denn Verachtung ist der letzte Rückzugsort, wenn alle Brücken abgebrochen sind und Abgründe sich geöffnet haben.
In München trafen wir uns 1990 in der Keller-Schenke des Rathauses am Marienplatz. Besuchen konnte man ihn nicht, denn er verfügte nur über ein Postfach, aus Sicherheitsgründen. In Nicht-Mail-Zeiten konnte man vor 30 Jahren ja noch nicht digital schreiben.
Aber ich gewann sein Vertrauen und so gab er mir seinen blauen Lyrikband Dann schreie ich, bis Stille ist, der damals gerade erschienen war und er ergänzte handschriftlich „Tegernseer Landstr. 26“. So schrieben wir uns. Von Vornamen zu Vornamen. Auch über den PEN, der in Rechtsfragen nicht ganz trittsicher ist, am meisten aber über Gedichte und Deutschland. In diesem Sprachland wohnte er, eroberte es wie eine Geliebte.

die fremde sprache ist eine schöne dame, die
der fremde anhimmelt. Bei dieser liaison ist er
nur ein unerfahrener liebhaber. Er tobt sich aus
auf dem gereiften körper der geliebten, und sie
erduldet mit grandezza alles, was er in seinem
jugendlichen elan ausprobiert. Die reife geliebte
weiß, erst wenn er sich ergibt, beginnt die liebe.

Im Buch In Deutschland leben schreibt er
so. Innig, poetisch offenbart er ein sinnliches
Verhältnis zu dem zur Heimat gewordenen
Sprachland. Wer traut sich in der Gegenwarts-
literatur zu solchen Sätzen? Keiner. Reiner
Kunze ausgenommen. Das macht den Verlust
umso deutlicher.

heinrich böll hat einmal die schriftsteller
als das gewissen der nation dargestellt. Ein
sehr problematischer satz. Denn wehe der
nation, die ihr gewissen an eine handvoll
menschen abgibt und sich dessen entledigt.

Auch diese Erkenntnis im einstigen Land der „Dichter und Denker“ tut gut und wirkt wie ein Widersprechen gegen die deutschen Verhältnisse der moralischen Selbsterhöhung Denn: Autoren schreiben und stellen ihr Weltmodell zur Diskussion, leuchten aus, was „da“ ist und was sich hinter den Erscheinungen der Erde verbirgt und sind insofern stets ontologischem Erkennen auf der Spur.
Die deutsche Einheit vom 3. Oktober 1990, die stets verkürzt als Wiedervereinigung rubriziert wird, hatte in SAID einen wachen Beobachter. Die SPD hätte an Kohls Stelle die Zahlen des Saarlands hochgerechnet, als die Saarländer wieder zu Deutschland gehören wollten und dann auch am 1. Januar 1957 dem Bundesgebiet beitraten, hätte also eine Modell-Kostenkalkulation zur Einheit vorgelegt.

Kohl hat dergleichen nicht gefragt. Es gibt eben momente in der geschichte, in denen man nicht rechnen darf, sondern handeln muss. Und ich glaube, die Sozialdemokratie hätte in dieser stunde nicht so rasch und entschlossen gehandelt.

SAID hatte auch der, seiner SPD was zu sagen.

Dass SAID ein bedeutender deutscher Dichter war, erschließt sich besonders aus dem Buch Psalmen aus dem Jahre 2007, inspiriert und kundig benachwortet von Hans Maier (geb. 1931 in Freiburg), der weit mehr war und ist als ein ehemaliger CSU-Staatsminister für Kultur. Wer dichtet heute so innig zu Gott, so dass Liebesgedicht und Gebet ineinander verschmelzen? Aus dem Koran sind keine Psalmen bekannt, die bestürmen, zweifeln, bedenken, hadern und immer wieder lobpreisen, um so die Sehnsucht nach dem ewigen Zuhause in Worte zu fassen.

herr
verlange nicht von mir
über den umweg der sünde
zu dir zu gelangen
vielleicht genügen uns meine abgründe
die mich zu deinen füßen führen
und sich die vögel
die vor dem stein der kinder zum himmel
aufliegen
als wären sie bestrebt
mich dir näherzubringen

Gedichte retten wie Gebete. SAIDs Dichtung wird bleiben.

Letzte Änderung: 13.11.2023  |  Erstellt am: 13.11.2023

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Kommentare

Masso schreibt
Was war sein frühes Werk ‚Wo ich sterbe, ist meine Fremde‘ für eine Offenbarung! Er fehlt…..

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