Birnen flüstern im Havelland

Birnen flüstern im Havelland

Der poetische Segen von Schloss Ribbeck
Ribbecks Wappen

„Kumm man röwer, ick gew' di ' ne Birn“ – Mit dem Gedicht über den Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland hat Theodor Fontane nicht nur die Birnen in die Köpfe der Kinder gepflanzt, sondern auch die Erzählung von der Fürsorge über Generationen hinaus. Was ist aus den Birnen und dem Schloss Ribbeck geworden? Matthias Buth hat sich dort hinbegeben und weiß davon zu schreiben.

Die Löwen-Apotheke kauert wie immer in der Chaussee von Neuruppin. Sie ist in Betrieb und lädt ein wie die Bilderbogenausstellung, wie der Tempelgarten, den Kronprinz Friedrich anlegen ließ und auch wie die Kopfstein-Straßen, in denen sich langsame Geschäftigkeit ausrollt. Vorstellung und Märchen aus alter Zeit scheinen sich zu verzweigen. Was für ein Name: Ruppiner Schweiz! Der Vierwaldstädter See ist fern, nicht aber Kalksee, Tornowsee, Molchowsee, Tetzensee, die zauberhafte Verheißungen zum Ausgleiten ins Verschwinden, Vergessen, Verweilen auslösen. Die Zwillingstürme der St. Trinitatiskirche aus rotem Backstein angeln im Neuruppiner See, die Abendsonne hat sie ausgeworfen.

Auf der Terrasse des „Alten Kasinos“ wartet Fontane bei einer Tasse Kaffee. Wie mein Vater, stets unterwegs und inneren Blicken auf der Spur. Beide wollten sie nichts entdecken, sondern verwandeln, andere Welten erfinden und ferne Gefilde so in die Gegenwart poetisieren, damit sich die Verzweiflungen und Enge weiten, die des Alltags und des Zeitmaßes. Mein Vater wollte vor vielen Jahren nach Fehrbellin, den Reitermarsch im Ohr, den Großen Kurfürsten im Blick, wollte zu Schloss Reinsberg, zum Refugium des Kronprinzen und des verliebten Dichters Tucholsky, wollte das alte Deutschland finden, das er im 19. Jahrhundert suchte, im Flachland, von Wasser durchzogen, in der Mark Brandenburg: ein Name wie ein Akkord in stolzem a-moll einer Schubert-Sonate. Fontane schlägt ihn an überall im Havelland. Dubslavs Einsichten im erinnerungsgetränkten Roman „Der Stechlin“ lagen meinem begrabenen Vater nicht fern. So suche ich ihn auch hier.

„Fahr da ab“, ruft mir mein Sohn ins Handy. „Das ist Dein Ort.“ Auf braunem Autobahnschild kündigt sich „Schloss Ribbeck“ an. Aber will ich zum Schloss oder nicht eher zum Gedicht, zu dessen Schlusszeilen

So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

also zu dem Trost, der aus dem Grab wächst und süßen Schatten spendet?
 

Und kommt ein Jung’ übern Kirchhof her,
So flüstert’s im Baume: „Wiste ‘ne Beer?“
Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: „Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew’ di’ ne Birn.“

Wo Bäume flüstern, ist der Tod fern und erschließen sich Segen und Erinnerung. Dorthin will ich. Die Poesie hat viele Wohnungen. In Ribbeck ist eine, die nur ein Dichter schaffen konnte.

Das Dorf Ribbeck liegt an der Bundesstraße B 5, welche Hamburg und Berlin verbindet. Von der Autobahn erreicht man die Stadt Nauen, die mehrere Orte umschließt. Von Berlin-Friedrichsstraße bis Nauen tuckert der rote Regionalexpress nur eine knappe halbe Stunde, die Hauptstadt ist nah. Im sog. Logierhaus, in der alten Borsig-Villa in Nauen, trafen sich die Verschwörer des Kreisauer Kreises. Dieser Ort schien ihnen Sicherheit vor der Gestapo zu geben. Und so war es auch.

Der „letzte Herr auf Ribbeck und Bagow“ war Hans-Georg Karl Anton v. Ribbeck, der im Nebenort Bagow 1880 geboren und in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges im Februar 1945 im KZ Sachsenhausen ermordet wurde, von seinen Landsleuten in SS-Uniformen. Der letzte Gutsherr gehörte indes nicht zum Kreisauer Kreis, auch nicht zu anderen NS-Widerstandsgruppen, war aber ein Widerständler aus adeliger Gesinnung, Bildung und Stolz. Die Nazis setzten der Familie von Anfang an zu. 1934 zum ersten Mal, als der sog. Röhm-Putsch erste „Säuberungen“ von oppositionellen Geistern zur Folge hatte und Ribbeck ins Gefängnis geriet; nur durch Fürsprache des Reichspräsidenten v. Hindenburg kam er wieder frei. Ob er einen Geheimsender im Schloss installiert hatte, wie die Gestapo behauptete, ist ungewiss, aber er hielt im Alltag gegen den Zeitgeist, verweigerte den „Deutschen Gruß“ und verstand sich als Herr und Sachwalter von Schloss und Feld. Deshalb wollte er das Zertreten des Getreides verhindern, als nach Absturz eines englischen Kampfbombers Schaulustige zusammengekommen waren. Er bot einem abgestellten Wehrmachtsoffizieren Einhalt, maßregelte ihn und verschwand darauf im Mai 1944 in Gestapo- und KZ-Haft.

Seit 1237 sind die Ribbecks urkundlich erwähnt. Sie kamen vom Westen des Heiligen Römischen Reiches, nachdem Kaiser Lothar den Grafen Albrecht („der Bär“) mit der Nordmark belehnt hatte und dieser sich nach Eroberung Markgraf von Brandenburg nannte. Zusammen mit dem Magdeburger Erzbischof Wichmann (die Wichmann-Eiche in Neuruppin erinnert an ihn) rief er Siedler ins Land. Diese entwässerten die Sumpfgebiete und verdrängten die Slawen (die „Wenden“). Ribbeck, das war um 1800 der Name für Verwaltung, Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit über zwei Güter, zehneinhalb Bauernhöfe, 25 Lehnhöfe, einer Windmühle, einem Dorfkrug und 7.400 Morgen Wald. Dies galt bis 1850. Zudem hatte der Gutsherr Patronatspflichten gegenüber der evangelischen Kirche bis zum Jahr 1944/45.

Schloss Ribbeck 1871/73

Über den Ort Berge – verkehrsberuhigende Straßen-Inseln verlangsamen die Fahrt – erreiche ich mein Ziel: In der Abendsonne wirkt das Schloss noch gelber als die Restaurierer es sich gewünscht hätten (ehemals war es weiß). 5,6 Mio. Euro waren nötig, es zu retten und von einem DDR-Altenheim zum Schloss Ribbeck rückzuverwandeln. Es gehört nicht mehr der alten Familie, sondern dem Kreis Havelland. Er musste zugreifen, da sich kein Käufer fand. Die Ribbecks wurden quasi zum dritten Mal enteignet. Beim Vertrag über die Deutsche Einheit im Jahre 1990 waren die Minister Schäuble und Krause sehr beflissen, die von der DDR beim russischen Präsidenten Gorbatschow „bestellte“ Erklärung zur Unantastbarkeit der von der bzw. unter der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) verfügten Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949 (der sog. Bodenreform wie auch der Listenenteignungen) in den DDR-BRD-Vertrag zu inkorporieren. Aber selbst danach hätten die Ribbecks (wie die Hardenbergs) das Schloss dann zurückbekommen können, wenn sie als NS-Verfolgte noch bis zum 8. Mai 1945 vom NS-System enteignet worden wären. Im Herrenhaus war zudem ab 1943 der Stab der Luftwaffeneinheit „von Richthofen“, so dass die NS-Schergen die Familie rauswarfen und zwangen, ins sog. Inspektorenhaus umzusiedeln. Das alles reichte vor dem Verwaltungsgericht Potsdam aber nicht als Nachweis einer NS-Enteignung, anders als die formellen Verurteilungen mit Vermögensentziehungen durch die Urteile des Volksgerichtshofs. Die im Zuge der SED-Bodenreform folgende schaffte weitere Fakten. Friedrich-Carl v. Ribbeck resignierte nach mehrjährigem Rechtsstreit mit Brandenburger Behörden im Jahre1999, ließ sich auf einen Vergleich ein und bekam eine Entschädigung nach dem Einheitswert von 1935 nach dem Ausgleichsleistungsgesetz, freilich verbunden mit der Möglichkeit, land- oder forstwirtschaftliche Flächen in einem bestimmten Umfang erwerben zu können. Eine sehr deutsche Regelung schafft nun Recht: die Flächenerwerbsverordnung.

Das alles schreckte und demütigte den Ribbeck der Gegenwart nicht. Er ist wiedergekommen, zwar nicht ins Schloss, aber als Bewohner des historischen Bodens, nämlich des alten Kutschpferdestalls. Diesen ließ er abreißen und ein Wohnhaus mit Doppeldach errichten, dem alten 1893 abgebrannten Gutshaus nachempfunden und so der Poesie Theodor Fontanes näher.
 

Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus.
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen „Jesus meine Zuversicht“

Eine Feiertagsstimmung umfängt mich, als ich in einer akkurat angelegten Parkbucht anhalte und mich in deutscher Präzision ein Straßenschild auf den Genius loci aufmerksam macht: „Am Birnbaum“. Darunter auf blauem Grund
 

Zugang zum Schloss 60 m
Kirche und Birnbaum 130 m
Familienfriedhof 200 m
Altes Waschhaus 150 m
 
 

Ein solches Schild würde keinem Franzosen einfallen. Der neue schmiedeeiserne (an gutbürgerliche Vorstadtgärten erinnernde) Zaun gebietet Ehrfurcht: Umfriedung und klare Kante.

Mich zieht`s zur Kirche, deren Turm von einer Barockgaube geschmückt ist und einen Gegenakzent zum neubarocken Schloss bildet. Dort waren die Ribbecks bis 1945 Patronatsherren. Nach der Erweiterung des Gotteshauses 1887 befand sich hier auch die Familiengruft.

Unsicher gehe ich zur Kirchentür, die ja wohl wie oft verschlossen ist, doch nein, sie gibt nach und ich betrete den Kirchenraum, allein mit dem Licht der acht Fenster, das der Kassettendecke ein kräftiges Grün gibt. Auf dem Altar die Bibel, aufgeschlagen wie zum Gebet. Ich beginne zu lesen: „Es spricht eine Stimme: Predige und ich sprach: Was soll ich predigen. Alles Fleisch ist Gras, alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde.

Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“

Das rührt mich, erinnert an „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms. Mit diesen Jesaia-Versen hat er seine weltumspannende Trauermusik verbunden. Damit hat auch er erlösen wollen, sich und andere. Diese Zeilen scheinen zugleich die Geschichte des Ortes und der Menschen im Havelland zu kommentieren.
 
 

Sie nehmen auch Theodor Fontane auf. Niemand oder nur wenige wüssten heute etwas von Ribbeck, hätte er nicht gedichtet, hätte er die Schlossherr-Birnbaum-Geschichte nicht in Verse gefasst. Historisch ist sie nicht, sondern eine poetische Wirklichkeit, die nur Dichtung schaffen kann. Denn Fontane war nie in Ribbeck, er kannte den 1759 verstorbenen Hans-Georg von Ribbeck nicht und wohl auch keine seiner Nachkommen. Aber der Dichter kannte Land und Leute und vielleicht projizierte er sich selbst in den listigen, misstrauischen, volksnahen und Dialekt sprechenden Junker hinein.

Das Gedicht macht das Schloss. Und die Birnen, mit denen Segen in Kinderhände fällt. Die Figur des Sämanns, des guten Menschen und treusorgenden Großvaters entsprach dem Selbstbild Fontanes und den Vorstellungen, die er über den Märkischen Adel in seinen Wander-Feuilletons, seinen Romanen und in den (ihm besonders wichtigen) Gedichten zeichnete.

Den schrecklichen SEDisten war diese Geschichtswahrnehmung natürlich ein Graus. Sie zerstörten deshalb fast das Schloss durch Plünderungen, Einbauten und Entkernungen. Das dann installierte Altenwohnheim sollte ideologisch demütigen. Ein Stück dieser deutschen Zeitgeschichte hat sich im Treppenhaus erhalten:

Ein dreifarbiges Sgraffito aus dem Jahre 1956 erzählt die Birnengeschichte neu und stellt sie auf den Kopf: Nicht Herr v. Ribbeck auf Ribbeck verteilt die süßen Birnen, sondern eine alte Frau im Lehnstuhl, assistiert von einer Krankenschwester, gibt einem Jungen und einem Mädchen die Birnen, während der feist dargestellte Junker eine Magd vergeblich um Birnen betteln lässt. Hans Schindler, der ehemalige stell-vertretende Direktor der Fachhochschule für Angewandte Kunst in Potsdam, hat dieses Auftragswerk fabriziert und so ein Beispiel der seelenlosen Apparatschicks der DDR hinterlassen. Gut, dass die Nach-Wendezeit dieses deutsche Schauerstück erhalten hat.

Die 600-jährige Geschichte der Ribbecks geht – Fontane sei Dank – weiter. Hartnäckigkeit, Demut vor der Geschichte und der Geist, den der Dichter in einem Gedicht seinen Vorfahren eingehaucht hat (unter Zuhilfenahme einer alten Legende) brachte Friedrich-Carl von Ribbeck dazu, hier wieder anzufangen, als Landwirt und als Unternehmer, denn er übernahm auch die alte Brennerei und stellt nun Birnenessig her. Das Schloss ist im unteren Teil Museum, die Ausstellungsräume durchziehen an den Wänden Verse des Birnengedichtes. Kammermusikfeste und das Restaurant mit havelländischen Speisen sollen Besucher ins Schloss locken. Zudem laden das Schulmuseum in der Alten Schule und der Pfarrgarten ein, in dem die evangelische Gemeinde einen „Biblischen Garten“ gepflanzt hat mit Oleander, Myrte, Anis, Weizen, Gerste, Hirse und Mohn. Nur Weise gehen in den Garten, so steht es auf der Mauer.
Der fontane´sche Birnbaum ist längst verdorrt. Ein neuer steht im Frühjahr in voller Blüte. Den vom Gedicht ausstrahlenden Segen hat inzwischen das vereinte Deutschland erreicht. Und so sind 16 unterschiedliche Birnbäume rund ums Schloss gruppiert, für jedes Bundesland ein Baum, mit sinnigen Namen ausgestattet. So kamen aus Sachsen „Gellerts Butterbirne“, aus Hamburg die „Conference-Birne“, aus Nordrhein-Westfalen die Birne „Gute Graue“ und aus Bayern gar die „Gute Laune“-Birne.

Was bleibet aber, stiften die Dichter, erkannte Friedrich Hölderlin. Und so liegt auch sein Birnen-Gedicht nicht fern. Wenn die Kraniche über die Dächer und Wasser ziehen, schwingen auch seine Verse über Blumen und Land.
 

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Schloss Ribbeck heute

Letzte Änderung: 19.06.2022  |  Erstellt am: 19.06.2022

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Kommentare

Josy schreibt
Sehr aufschlussreiche Doku!

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