Träume zieht mein Herz

Träume zieht mein Herz

Ein Porträt des Dichters Muepu Muamba
Muepu Muamba  | © Andreas Schmieg

Seit der Ermordung Patrice Lumumbas wurde die Demokratische Republik Kongo von Diktatoren regiert und von Kleptokraten ausgeplündert. Muepu Muamba musste aus diesen Gründen das Land verlassen und versuchte, in vielen anderen Staaten Fuß zu fassen, bis er in Frankfurt am Main heimisch wurde. Cornelia Wilß zeichnet ein Porträt des Dichters anlässlich der Verleihung des Buchpreises der 11. Frankfurter Immigrationsbuchmesse.

Nächte des Taumels

Als sich „Belgisch-Kongo“ 1960 von dem Kolonialregime Belgiens befreite und sich Licht am Horizont des geschundenen Landes zeigte, war Muepu Muamba, der in Kongo-Kinshasa aufwuchs, gerade mal vierzehn Jahre alt. (Muepu ist der kongolesische Eigenname, kein Vorname, wie wir ihn in Europa kennen, der Autor wurde in Deutschland als Muepu Muamba bekannt).

In den „Nächten des Taumels“, wie er rückblickend schreibt, träumte die Jugend damals von einem besseren Morgen – und wurde bitter enttäuscht. Die Ermordung Patrice Lumumbas am 17. Januar 1961 bei Élisabethvillein Katanga, heute Lubumbashi, hat sich tief in das kollektive Gedächtnis des Kongo eingegraben. Patrice Lumumba war der erste Premierministers des unabhängigen Kongo (heute Demokratische Republik Kongo) und spielte eine bedeutende Rolle dabei, das riesige Land aus belgischer Kolonialherrschaft heraus in die Unabhängigkeit zu führen. Bis heute ist Lumumba eine Symbolfigur für den Widerstand der Kongolesen. Bis heute, sagt Muepu Muamba, sei der Kongo aber auch ein „globalisiertes Land“, offen für alle kleinen und großen Piraten auf dem großen Jahrmarkt der Diebe, die sich an den reichen Schätzen im Boden des Landes hemmungslos bedien(t)en! Die Menschen seines Landes seien nun schon über mehrere Generationen erschüttert und erschöpft von der Sinnlosigkeit von Kriegen und der Gier von Hasardeuren in den rohstoffreichen Gebieten im Osten der Demokratischen Republik Kongo, in den Provinzen Kivu und Katanga.

Das durch das Handlanger-Regime Mobutus (1965 bis 1997), der sich 32 Jahre an der Macht hielt und zu den reichsten Männern Afrikas zählte, verursachte Trauma würde noch für Generationen die politische Kultur des Landes vergiften. Doch zurück zu den Anfängen. Der junge Muepu ging Anfang der 60er Jahre nach Belgien, dort hatte er bereits das Gymnasium besucht, und studierte in Brüssel Soziologie und Journalismus. 1968 musste er das Land verlassen; er wurde im Zusammenhang mit den 68er Protesten verhaftet und ausgewiesen. Er ging zurück nach Kinshasa ins Land seiner Vorfahren, das von 1971 bis 1997 den Namen Zaire trug. Zunächst arbeitete als Schriftsteller, Journalist und Literaturkritiker und erfüllte sich den Traum, der jungen kongolesischen kritischen Stimmen einen Publikationsort zu geben. Mit dem Freund Alphonse Kangafou gründete er 1974 den Verlag Les presses africaines und war aktiv in der kongolesischen Kulturszene, knüpfte Kontakte zu vielen Intellektuellen im Kongo und in der Diaspora, spannte ein weites Netz nach Europa, die USA … Bis heute stehen die Weggefährten aus dieser Zeit in Verbindung, diskutieren und streiten über den richtigen politischen Weg über die Zukunft Kongos.

Afrika in eigener Sache

Nach dem Erscheinen des Novellenbandes Ventres Creux (dt. leere Bäuche) kam der junge Verleger und Autor in Konflikt mit den Schergen des korrupten Regimes des Sese Seko Mobutu. Im Oktober 1977 wurde Muepu Muamba von der Frankfurter Buchmesse eingeladen, er blieb ein Jahr in Deutschland und arbeitete mit dem Autor Jochen R. Klicker und dem Fotografen Claude Paysan an dem viel beachteten Band Afrika in eigener Sache – Unter dem Baobab gesprochen, 1980 im Peter Hammer Verlag erschienen, damals unter der Leitung von Hermann Schulz. „Wimpernschläge der Realität“, nennt Klicker die in dem Band versammelten Selbstzeugnisse; Gedichte und Fotografien, darunter auch zehn Essays zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des afrikanischen Kontinents von Muepu.

In „Gedanken zur Bildenden Kunst“ schreibt er etwa über die Deutung und Bedeutung von Masken: „Der Künstler lebte von der Wichtigkeit, die ihm die Mythologie verlieh, die er wiederum durch seine Kunst vergegenwärtigte. Wenn er beispielsweise eine Maske schuf, brachte er damit das Glück, die Macht, die Fruchtbarkeit, das Unglück, die Freude, den Fluch. Das Kunstwerk war kein neutrales ästhetisches Objekt, sondern eine Stellungnahme.“ Und weiter heißt es in dem Text, der viel von der aktuellen Diskussion über Kunst in und aus Afrika im Spiegel de-kolonialer Diskurse vorwegnehmt: „Afrika trägt viele Masken; man muss durch sie hindurch, um Weite und Tiefe zu erfahren. Andernfalls tut sich nur Leere auf. Afrika versteht es sehr gut, sich mit seiner Wirklichkeit hinter Masken zu entziehen. Auch die Kolonisatoren, die Jahrhunderte bei uns gelebt haben, verstanden nichts von Afrika. Sie waren davon überzeugt, den Kontinent mit wissenschaftlicher Gelehrsamkeit erklären zu können. Aber niemals haben sie eine afrikanische Maske aufgesetzt, um in Afrika einzudringen. So haben sie es nie zähmen können.“

Im Jahr 1979 veranstalteten die Berliner Festspiele unter der Leitung von Jochen R. Klicker und Gereon Sievernich das erste Horizonte-Festival der Weltkulturen. Es ging den Initiatoren damals darum, sich mit dem kulturellen Reichtum des globalen Südens auseinanderzusetzen. Das erste Festivaljahr – drei weitere sollten folgen – war der Kunst aus Afrika gewidmet. Einer der Gäste war Muepu Muamba, der das Festival gemeinsam mit Jochen R. Klicker angeregt hatte. Er äußerte in Berlin Kritik am Mobutu-Regime, der Straflosigkeit und Korruption und prangerte die Zensur in seinem Land an, die öffentliche Kritik im Keim erstickte. Seine kritischen Äußerungen blieben nicht ohne Wirkung. Sie läuteten den Beginn seines noch immerwährenden Lebens im Exil ein. Freunde hatten ihn gewarnt, er würde enorme Schwierigkeiten im Kongo bekommen, wenn er zurückkehrte, und er folgte dem Rat. „1979 waren wir im vollen Mobutismus“, sagt er in einem Interview vom 17. Mai 2007 von Barbara Höhfeld. Aber Muepu Muamba wollte unbedingt zurück nach Afrika und dort ein Land finden, in dem er um Asyl nachsuchen konnte. Vergeblich. Die Hand Mobutus reichte weit … Seine Odyssee durch mehrere afrikanischen Staaten dauerte fünf Jahre, bis er 1984 in Paris den Status des politischen Flüchtlings erhielt. 1985 lernte er seine Frau Maria Kohlert-Németh bei einer Konferenz in Paris kennen. Jahre später zog er zu seiner Frau, die als Archäologin und Kunst- und Kulturwissenschaftlerin arbeitete, nach Frankfurt am Main. Bis heute ist er nicht mehr in den Kongo gereist.

Pflicht zur Einmischung

Muepu Muamba schreibt auf Französisch, die meisten seiner Gedichte hat Maria Kohlert-Németh ins Deutsche übertragen. 1988 veröffentlichte er im Heidelberger Verlag P. Kivouvou in der Reihe Éditions Bantoues einen Band mit dem programmatischen Titel Devoir d’ingérence – Pflicht zur Einmischung“. In Prosa-Texten und Gedichten verarbeitet er seine bitteren Erfahrungen bei der Durchquerung Westafrikas auf der Suche nach Ankunft. Mit schmerzhaftem Erstaunen stellte er fest, dass ein Theoretisieren über das Wesen des MENSCHEN die konkreten Zustände des Menschen verschleiert, der eine sich über den anderen erhebe und dies zwangsläufig zu Grausamkeit führe.

 
 
PFLICHT ZUR EINMISCHUNG

an Mavuba
 
 
bq. Eines Tages
vielleicht morgen
wird Leben sich befruchten
auf der ganzen Erde
aus der Liebesumarmung
Es wird keine
inneren Angelegenheiten mehr geben
Zärtlichkeit wird
M e n s c h und S t a a t
T o t e n v ö g e l
von ihrem Sockel stoßen
das Recht auf Einmischung
wird zur universellen Pflicht erhoben
Leiden diese Trübsal die sich
frisch-fröhlich um uns auftürmt
endlich entfernt
dann erst wird unsere Welt
m e n s c h e n – w ü r d i g erstehen
Eines Tages
vielleicht morgen
wird Brüderlichkeit die Zahlung
aller auf den Garten den Herzens
ausgestellten Wechsel einfordern
die Grausamkeit muss notgedrungen
ihre schreckliche Blutschuld begleichen
Es wird keine
äußeren Angelegenheiten mehr geben
die Feuerwolke der Liebkosungen
wird Gleichgültigkeit diesen
Grabgesang der Seele
von ihrem Sockel stoßen
zugunsten der Hilfsbereitschaft
Den Völkern in Gefahr
nicht gewährter Beistand
wird als unsühnbares Verbrechen gelten
dann erst hört Leben auf
den widerlichen bitteren
den Aschengeschmack zu haben.
 
Paris, 24. Januar 1986
 
 
 
 
Aus dem Französischen ins Deutsche übertragen von Maria Kohlert-Németh. Das Gedicht wurde neben anderen Gedichten von Bernd Leukert gelesen und hier ist nachzuhören: http://archiv.faustkultur.de/720-0-Muepu-Muambadeutsch.html#.Y2d-AnbMK5c

Einige Jahre später erschien Sisyphos im Lärm der Stille – 2012 im Draupadi Verlag unter der Leitung von Christian Weiß: eine Auswahl von Texten aus den Jahren 1973 bis 2008, herausgegeben von der Übersetzerin und Publizistin Barbara Höhfeld. Gleich zu Anfang des Bandes ist ein bemerkenswerter Brief des aus Kamerun stammenden Schriftstellers Patrice Nganang abgedruckt. Nganang, inzwischen selbst ein erfolgreicher Autor, beschreibt anfänglich eine Szene, wie er noch in seiner Frankfurter Zeit den späteren Freund als einen „Afrikaner“, der aufrecht Stehend in einer Straßenbahn liest, wahrnimmt. Er begann das Gespräch zu suchen; sein fiktiver Brief „Das Ohr der Welt“ ist eine Hommage an den langjährigen Weggenossen. In Muepus Gedichten bräche sich der „vulkanische Schmerz des Planeten“ Bahn, heißt es in dem Text. Er habe von ihm, Muepu gelernt, dass Schriftsteller zu sein hieße, ein Ohr zu haben, eher noch als eine Feder, und die Gabe zu haben, zuzuhören, um den sehnsuchtsvollen Schmerz der Welt herauszuhören.

Muepu Muambas Gedichte lesen sich nun aber keineswegs nur als „Wut-Reden“ und als „Hieroglyphen des Schmerzes. „Nein, nicht nur ein gespannter Abzug am Revolver Afrika“, sei seine Heimat Kongo, wie Frantz Fanon es bezeichnet hatte, als er die Konturen des afrikanischen Kontinents in seinen Blick nahm. In dem Gedicht Mein Land O (wie das Wort l‘eau) zeigen sich die Konturen eines anderen lebendigen Kosmos:
Afrika ist meine wellige Heimat ich komme aus dem Wasserland von Früchten überladen wie ein lachender Garten und Träume zieht mein Herz hinter sich her die unaufhörlich hoffnungsvoll Wellen schlagen – mein gefangengenommenes Land…

(Aus dem Französischen ins Deutsche übertragen von Maria Kohlert-Németh. Das Gedicht wurde neben anderen Gedichten von Bernd Leukert gelesen und nachzuhören: http://archiv.faustkultur.de/720-0-Muepu-Muambadeutsch.html#.Y2d-AnbMK5c

Moyo! Der Morgen bricht an ist der Titel der ersten deutschsprachigen Anthologie kongolesischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die 2013 im Brandes & Apsel Verlag erschienen ist. Muepu Muamba veröffentlichte als Herausgeber des Bandes Selbstzeugnisse, die ein „anderes Bild vom Kongo entwerfen“. Er wollte, dass der Kongo sich selbst erzählt – unmittelbar, vielstimmig, unverstellt und ungebändigt: stürmisch wie unsere großen Flüsse, wie er in seinem Vorwort schrieb. Die Regierenden von heute hätten die Bedeutung von Kultur verloren. „Nur sie erlaubt uns, ein Bild von uns selbst zu schaffen, anstatt die Zerrbilder von außen zu übernehmen.“

Moyo heißt in mehreren afrikanischen Ländern Herz: der Sitz der Lebenskraft, des Gefühls aber auch des Verstandes und der Weisheit. „Moyo ist ein wanderndes Wort – wie ich selbst, wie viele Kongolesen und Afrikaner in diesen Zeiten. … Wenn ich diesem Buch den Titel Moyo gebe, schrieb Muepu damals, grüße ich somit meine Freunde von Herzen, die ich während meinen Wanderungen in den Jahren des Exils hier in Deutschland gefunden habe. Denn der Mensch ist seinem Wesen nach keine Wüste, sondern ein Baum, der wandert, sich aufmacht, mit seinen Worten als Wurzeln, um anderswo heimisch zu werden, mit anderen etwas Neues zu schaffen….“

Muepu Muamba ist ein Schreibender und ein Denkender, einer der sich einmischt, um sich selbst wenig Aufhebens macht. Dabei setzt er sich als Vorsitzender des Vereins „Dialog International“ (www.dialog-international.info/) als ein transkulturelles Projekt von Menschen aus Deutschland und dem Kongo, für Frieden, Menschenrechte und Bildungsprojekte ein. Gemeinsam mit Maria Kohlert-Németh und anderen Gleichgesinnten, die seine Wege kreuzten, hat er in Frankfurt das weithin beachtete Africa Alive Festival (www.africa-alive-festival.de) mit initiiert und geprägt und so neue Akzente im Kulturleben Frankfurts gesetzt.

Am neunten Oktober 2022 erhielt er den Buchpreis der 11. Frankfurter Immigrationsbuchmesse (https://immigrationsbuchmesse-ffm.org/) – ein Ort für Literatur aus transkultureller Perspektive, der seit 2010 besteht. Initiator war Hamidul Khan, getragen wird die ehrenamtlich organisierte Buchmesse vom Verein „Frankfurter Immigrationsbuchmesse e.V.“ und der „Deutsch-Bengalischen Gesellschaft“.

Muepu Muamba widmete den Preis in seiner Dankensrede jenen, die sich aufmachen, ihren Heimatsort verlassen auf der Suche nach Frieden, Gerechtigkeit, Respekt und auf deren Lebenswegen sich die Erfahrungen des Exils eingebrannt haben. Einmal, ein paar Jahre zuvor, wurde Muepu von der Dichterin Safiye Can und dem Autor Hakan Akçit in einem langen Interview (Der Andere, das ist der unverzichtbare Teil von mir selbst) für das migrationspolitische Portal der Heinrich-Böll-Stiftung gefragt, was Heimat für ihn sei: „Ich bin immer ein wenig von woanders, von hier und von dort unten. Und weder von hier noch dort unten. … Ich habe den Duft von so vielen Gegenden und so vielen Landschaften in mich aufgenommen … Für denjenigen, der von weit herkommt und andernorts Schutz sucht, bedeuten letztlich die Frauen und Männer, die ihn aufnehmen, Heimat.“ In dem Bild des wandernden Baumes, dessen Wurzeln ein Geflecht mit anderen eingehen, um zu überleben, findet der Dichter im Exil zu sich selbst. Unter dem Blätterdach lässt sich gut niederlassen, über Absurdes lachen, Verlorenes betrauern, Träumen nachhängen und auf Hoffnung bestehen – zärtlich und unbestechlich zugleich. Unter einem solchen Baum sitzend und schreibend stelle ich mir den Dichter Muepu Muamba vor!

Literaturauswahl:

  • Moyo! Der Morgen bricht an: Stimmen aus dem Kongo. (Hrsg. und Autor) Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main, 2013
  • Sisyphos im Lärm der Stille. Draupadi Verlag, Heidelberg 2012
  • Et si…Und wenn…Lyrik. Edition Workshop Kultur, Gladbeck 1999
  • Devoir d`ingerence, P. Kivouvou Verlag – Ed. Bantoues, Brazzaville, Heidelberg 1988
  • Jochen R. Klicker, Claude Paysan, Muepu Muamba: Afrika in eigener Sache – Unter dem Baobab gesprochen. Essays. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1980
    *_Ventre creux, Kinshasa, Centre Africain de Littérature, Zambie 1974_

Letzte Änderung: 21.11.2022  |  Erstellt am: 21.11.2022

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